ERFAHRUNGSBERICHT


Ein Gesundheitssystem, das überfordert?

Die KEB lud zusammen mit dem Förderverein des Krankenhauses Dingolfing e. V. und dem Hospizverein Dingolfing zu einem Vortrag mit Diskussionsrunde in das TZ Puls ein. Der Arzt Prof. Dr. Thomas Bein aus Regensburg sprach über die Hochleistungsmedizin aus Sicht eines Mediziners, als auch eines betroffenen Patienten. KEB-Bildungsreferent Stefan Ramoser stellte den Redner und dessen Buch "Ins Mark getroffen", das im März 2021 erschienen ist, kurz vor. Anschließend beginnt der Intensivmediziner seinen Vortrag mit einem Foto von sich, als er "mitten im beruflichen Lauf war und sich wohlfühlte im Krankenhausgetriebe". Dann erhält er die Diagnose Plasmozytom - Knochenmarkskrebs. Im Vortrag beschreibt er was medizinisch auf die Diagnose folgte und spricht über Momente und Begegnungen mit Ärzten, Pflegekräften und Mitpatienten.

Die Erfahrungen und Beobachtungen, die er während seiner sechs Jahre andauernden Behandlung sammelte, führen zu einem Wahrnehmungswandel und auch einer veränderten Haltung gegenüber der Hochleistungsmedizin, die zunehmend industrielle, kommerzialisierte Züge angenommen hat. "Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems kann nicht nachhaltig sein, wenn der Patient als Individuum und dessen Bedürfnisse nicht im Blickfeld stehen. Das technisch perfekte System funktioniert nicht ohne Empathie und Verständnis - daher sollte wieder mehr Humanität in der Medizin herrschen", so Thomas Bein.

Der Intensivmediziner plädierte dafür, dass es ein Medizinsystem braucht, dass sich nicht ausschließlich am Profit orientiert. Da das Problem in der Grundstruktur des Gesundheitssystems verankert ist, liegt die Verantwortung für eine Veränderung bei der Politik und den Krankenkassen, so der Mediziner. Einen weiteren Ansatz für eine mögliche Verbesserung sieht er bereits bei der Ausbildung von Pflegepersonal und Ärzten: "Empathie und Kommunikation mit Patienten sollten Bestandteil des Studienlehrplans sein. Allerdings ist dies schwierig, bei einem Studium, das wissenschaftlich vollgestopft ist." Bei aller  fachlichen Kompetenz und praktischen Erfahrung braucht es gerade Empathie und Achtsamkeit für ein gutes Arzt-Patientenverhältnis und die Genesung. Im Berufsalltag, in dem Ärzte laut Studien durchscnittlich gerade einmal acht Minuten Zeit für einen Patienten haben, bleibt da aber kaum Zeit für Zwischenmenschliches. Ein ökonomisch-orientiertes Handeln gehört auch zum Arztberuf dazu, jedoch darf diese Orientierung nicht zum Diktat werden. Thomas Bein beschreibt seine 30 Aufenthalte auf der onkologischen Station, als Aufenthalt wie in einer Fabrik: Alles ist genau durchgetaktet, das Personal - Ärzte wie Pflegende - arbeitet hochkonzentriert, aber am Feierabend sind diese merklich ausgelaugt. Das Problem sei, dass das System immer weiter hochgefahren wird und das führe zu einer Überforderung von Ärzten, Pflegepersonal und letzendlich auch der Patienten.Für diese Entwicklung sieht er auch eine Mitschuld bei der Ärzteschaft: Durch die zunehmende Kommerzialisierung hat sich diese "das Heft aus der Hand nehmen lassen".

In der anschließenden Diskussionsrunde berichten Teilnehmer über ihre persönlichen Erfahrungen, darunter eine Mitarbeiterin der Hospizgruppe, die auf die Relevanz von Achtsamkeit und Humanität im Umgang mit Patienten einging: "Es sind die Kleinigkeiten, im alltäglichen Umgang, die wichtig sind. Beispielsweise dass nach dem Anklopfen an die Tür, diese nicht sofort geöffnet wird - um dem Menschen einen Moment Zeit zu geben, sich darauf einzustellen. In der Ausbildung als Hospizbegleiter erfahren wir selbst, wie es sich anfühlt, von jemand anderem gefüttert zu werden. Dies soll das Einfühlungsvermögen im Miteinander verstärken."

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